Wer die finanzielle Unabhängigkeit anstrebt, steht schnell vor der Frage: Welches Vermögen benötige ich? Als grobe Faustregel wird oft das 25-Fache der jährlichen Ausgaben genannt. Hintergrund für diese Empfehlung ist die berühmte 4%-Regel. Gemäß dieser kann man aus einem diversifizierten Portfolio pro Jahr 4% vom Startkapital sicher entnehmen.
Daraus folgt: Entnimmt man pro Jahr 4%, benötigt man dem Kehrwert der Entnahmerate (1 / 0,04 = 25) entsprechend das 25-Fache der jährlichen Ausgaben an Vermögen, um finanziell unabhängig zu sein. Denn 4% des 25-Fachen entsprechen dem Einfachen.
Doch ist das 25-Fache wirklich genug? Kommt drauf an, lautet die richtige Antwort. Die 4%-Regel erlaubt in den meisten Fällen nur eine grobe Indikation. Tatsächlich sind die individuelle sichere Entnahmerate und das daraus resultierende benötigte Vermögen im Wesentlichen vom Alter der planenden Person abhängig.
Die 4%-Regel gilt nur für ältere Privatiers
Was oft unter den Tisch fällt ist, dass die 4%-Regel ursprünglich für einen 30-jährigen Entnahmezeitraum ermittelt wurde. Finanzplanungen, die auch das Risiko älter als der statistische Durchschnitt zu werden berücksichtigen (Langlebigkeitsrisiko), haben dagegen regelmäßig einen längeren Planungshorizont als nur 30 Jahre. Die Praxis zeigt: Wer den eigenen Lebensabend plant geht oft „vorsichtig optimistisch“ davon aus bis zu 100 Jahre zu erleben. Diese Vorgehensweise ist sinnvoll. Sie erlaubt jedoch aufgrund des längeren Planungshorizonts oft nur eine geringere Entnahmerate als 4% bzw. erfordert ein dementsprechend höheres Vermögen als das 25-Fache.
Geht der risikobewusste Privatier beispielsweise von einem gesamten Planungshorizont von 100 Jahren aus (Ansparphase + Entnahmephase), dann ergeben sich bei 2,5% Pleitegefahr und in Abhängigkeit vom Alter zu Beginn der Entnahmephase die folgenden Entnahmeraten bzw. benötigten Vermögen:
Als erster Orientierungspunkt soll uns die 4%-Regel für eine 30-jährige Entnahmephase dienen. Wer plant womöglich das stolze Alter von 100 Jahren zu erreichen, der darf erst ab einem Alter von 70 Jahren mit der 4%-Regel arbeiten (dunkelblaue Linie). Das benötigte Vielfache der jährlichen Ausgaben beträgt dann das 25-fache (hellroter Balken). Wer jünger als 70 ist, der benötigt dagegen ein entsprechend höheres Vermögen.
An dieser Stelle ein technischer Hinweis: Ich habe hier die Entnahmerate und das benötigte Vermögen statt wie sonst mit 0% mit einer Pleitewahrscheinlichkeit von 2,5% berechnet. Das bedeutet, bei der historischen Analyse würde man in 2,5% der Fälle das Vermögen bereits vor Erreichen des geplanten Laufzeitendes vollständig entsparen. Diese Änderung habe ich vorgenommen, um einen besseren Vergleich mit der 4%-Regel durchführen zu können. Denn bei ganz strenger Betrachtung mit einer 100%-Aktienquote sind 4% selbst im Alter von 80 nicht garantiert sicher, so dass ein Vergleich nicht möglich gewesen wäre.
Von der jüngeren FI-Community oft unterschätzt: Die Lifestyle-Inflation
Doch damit nicht genug. Die Rechnung unterstellt, dass die jährlichen Ausgaben im Zeitablauf konstant bleiben und ist daher zu stark vereinfacht. In der Praxis schwankt die Höhe der Ausgaben im Zeitablauf. Die Ergebnisse einer Studie zur Entwicklung der Ausgaben privater Haushalte des statistischen Landesamts Rheinland-Pfalz, welche uns hier als repräsentative Grundlage dienen wird, zeigen: Ein junger Mensch, der noch am Anfang des Lebens steht und heute mit wenig Geld auskommt, der sollte sich auf zukünftig steigende Ausgaben vorbereiten. Umgekehrt dürfen Menschen ab 50 damit rechnen in Zukunft ein geringeres Budget als heute zu benötigen. Ein wesentlicher Treiber für diese Entwicklung sind sicherlich neben anderen Ursachen auch Kinder und die Familiengründung.
Im Folgenden betrachten wir die relative Entwicklung des Ausgabenniveaus und nicht wie in der Studie absolute Zahlen. Dadurch werden die Ergebnisse auf einer breiteren Ebene anwendbar. Individuelle Verläufe mögen hiervon natürlich abweichen, der grobe Trend sollte aber für die Mehrheit ungefähr passen:
Die farbigen Linien repräsentieren jeweils eine eigene Alterskohorte. Ganz oben in blau: die heute 20-Jährigen. Diese Kohorte verzeichnet im Zeitablauf den stärksten Ausgaben-Anstieg. Nach ca. 30 Jahren, also im Alter von 50, müssen heute 20-Jährige damit rechnen das ca. 1,86-fache der heutigen Ausgaben als Budget zu benötigen. Für heute bereits 25-Jährige (rot), fällt dieser zukünftige Anstieg geringer aus, denn die 25-Jährigen haben heute bereits ein höheres Ausgabenniveau als die 20-Jährigen (ca. 1,2-mal so hoch).
Selbst heute 40-Jährige (hellblau) müssen sich für die nächsten 10 Jahre auf einen milden Anstieg des Ausgabenniveaus einstellen, bevor dieses anschließend im Alter von 60 wieder auf den heutigen Wert absinkt. Erst ab einem Alter von 50 wendet sich das Blatt, d.h. das zukünftige Ausgabenniveau liegt immer unter dem aktuellen Niveau.
Die flexible Entnahmerate passt sich der erwartbaren Lifestyle-Inflation an
Mit dem Begriff Lifestyle-Inflation ist das sich im Zeitablauf verändernde, in vielen Fällen ansteigende Niveau der privaten Konsumausgaben gemeint. Zwar gibt es im Alter auch so etwas wie eine Lifestyle-Deflation, nämlich genau dann, wenn ab einem bestimmten Punkt die Ausgaben wieder zurückgehen. Jedoch ist diese Seite der Medaille weniger risikobehaftet, weshalb sich die Lifestyle-Inflation als gesamthafter Begriff für das Phänomen der im Zeitablauf schwankenden Konsumausgaben durchgesetzt hat.
Berücksichtigt man die Lifestyle-Inflation im Rahmen der Entnahmeplanung bei der Bestimmung des benötigten Vermögens, hat dies einen erheblichen Einfluss auf die Entnahmerate. Das Ergebnis ist die sog. an die Lifestyle-Inflation angepasste oder flexible Entnahmerate. Die ist insofern besonders, als dass die angepasste Entnahmerate im Zeitablauf variabel ist. Das zugrundeliegende Kapital, mit welchem die flexible Entnahmerate zwecks Bestimmung des absoluten Entnahmebetrags multipliziert wird, entspricht dabei immer dem inflationsindexierten Ausgangskapital.
Daraus folgt, dass ein heute risikoadverser 20-Jähriger, der womöglich noch 80 weitere Jahre vor sich hat, unter Berücksichtigung der zu erwartenden Lifestyle-Inflation gegenwärtig nur 1,84% p.a. (statt 2,57% p.a.) des aktuell vorhandenen Vermögens entnehmen darf. In 30 Jahren, wenn der heute 20-jährige Privatier 50 Jahre alt sein wird, werden die Ausgaben gemäß Statistik um den Faktor 1,86 gestiegen sein. Die hier ermittelte flexible Entnahmerate berücksichtigt diesen Effekt, indem sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls um den gleichen Faktor auf 2,37% x 1,86 = 4,41% hochskaliert werden darf.
Die flexible Entnahmerate ist also im Zeitablauf dynamisch an die Lifestyle-Inflation gekoppelt und verläuft im Falle eines 20-Jährigen gemäß Studie über die nächsten 80 Jahre wie folgt:
Man erkennt am Verlauf der Entnahme-Kurve sehr deutlich, dass diese parallel zu der oben dargestellten Budget-Entwicklung für einen 20-Jährigen verläuft. Die für einen bestimmten zukünftigen Zeitpunkt gültige Entnahmerate wird jeweils mit dem zu Beginn der Entnahmephase vorhandenen, inflationsindexierten Kapital (hier: dem im Alter von 20 verfügbaren Kapital) multipliziert, so dass das verfügbare Budget sich entsprechend den zu erwartenden Ausgabenänderungen anpasst.
Beispiel: ein heute 20-Jähriger erbt 500.000 Euro und fühlt sich daraufhin finanziell unabhängig. Denn gemäß der berühmten 4%-Regel dürfen von diesem Vermögen jedes Jahr 20.000 Euro entnommen werden. Das wären pro Monat gute 1.500 Euro und aus der Brille eines 20-Jährigen vermutlich ausreichend. Doch weit gefehlt! Unter Berücksichtigung der bis zu 80 Jahre andauernden Entnahmephase und der erwarteten Lifestyle-Inflation sind für den 20-Jährigen im ersten Jahr tatsächlich nur 2,37% von 500.000 = 11.850 Euro möglich. Das ist schon deutlich weniger und erscheint auch dem jungen Erben zu knapp. Immerhin: Im Alter von 50 erlaubt die flexible Entnahmerate eine inflationsindexierte Entnahme von 4,41% der ursprünglichen 500.000 Euro. Das liegt deutlich oberhalb des Budgets gemäß 4%-Regel, doch bis dahin wird sich sicher auch das Ausgabenniveau entsprechend angepasst haben. Denn mit 22.000 Euro Budget pro Jahr wird sich ein mitten im Leben stehender 50-jährigen Familienvater in Deutschland eher als Lebenskünstler statt als Privatier bezeichnen.
Die folgende Grafik vergleicht die flexible Entnahmerate mit der klassischen laufzeitenabhängigen Entnahmerate (Linien) und stellt das gemäß der beiden Varianten benötigte Vermögen gegenüber (Balken):
Sowohl bei der klassischen als auch bei der flexiblen (ausgabenindexierten) Variante nimmt das für die finanzielle Unabhängigkeit benötige Vermögen, ausgedrückt als Vielfaches der jährlichen Ausgaben, mit zunehmendem Alter ab. Der Verlauf ist bei der flexiblen Variante (blau) jedoch deutlich steiler. Dies liegt daran, dass neben der reinen Laufzeit hier auch die zukünftig zunehmenden bzw. abnehmenden Konsumausgaben berücksichtigt sind.
In jungen Jahren, wenn die zukünftigen Ausgaben höher als die gegenwärtigen ausfallen, liegt das tatsächlich benötigte Budget über dem gemäß der klassischen Variante. Wer die erwartete Lifestyle-Inflation ignoriert läuft Gefahr während der Entnahmephase den Gürtel ungewollt eng schnallen zu müssen. Ab einem Alter von 40 kippt jedoch das Bild. Wer hier weiterhin mit der klassischen Entnahmerate ohne Anpassung an das zukünftige Ausgabenniveau arbeitet, der geht womöglich ungewollt zu konservativ vor oder bleibt sogar hinter den eigenen Möglichkeiten. Denn wie dieser Artikel zeigt, kann je nach Renditeerwartung ein um nur wenige Jahresausgaben reduziertes Ziel-Vermögen einen deutlichen Einfluss auf die Dauer der Ansparphase haben.
Fazit
Junge Privatiers haben es doppelt schwer. Die entsprechend lang andauernde Entnahmephase erlaubt nicht nur in der klassischen Betrachtungsweise eine deutlich unterhalb der populären 4%-Regel liegende Entnahmerate. Denn hinzu kommt auch noch ein weiterer Abschlag aufgrund der zu erwartenden Lifestyle-Inflation. Diese wird insbesondere in jungen Jahren gerne unterschätzt. Viele Bedürfnisse und Ansprüche entwickeln sich mit zunehmendem Alter auf eine Art und Weise wie man sie sich als junger Mensch nur schwer vorstellen kann. „Man sieht nur, was man weiß“ hat einst Goethe formuliert. Daraus resultiert insbesondere für Privatiers unter 40 ein Risiko den tatsächlichen Kapitalbedarf für die finanzielle Unabhängigkeit zu unterschätzen.
Spannende Rechnerei 🙂 ob die statistischen Werte aus der rheinland-pfälzischen Studie für einen selbst passen, muss natürlich jeder für sich selbst beantworten. Ich denke, dass insbesondere Kinder hier eine große Rolle spielen.
Kleiner Hinweis: im Satz „Der Verlauf ist bei der flexiblen Variante (blau) jedoch deutlich steiler. Dies liegt daran, dass neben der reinen Laufzeit hier auch die zukünftig zunehmenden bzw. abnehmenden Konsumausgaben berücksichtigt sind.“ müsste es statt blau doch grün heißen, wenn ich es richtig verstanden habe.
Viele Grüße
Jenni
Moin Jenni, schöne Rechnerei trifft es glaube ich ganz gut 🙂 Ich gehe auch davon aus, dass Kinder hier eine große Rolle spielen. Als junger Mensch sollte man dies aber in jedem Fall einplanen, auch wenn noch kein Kinderwunsch vorhanden ist. Das kann sich im Zeitablauf ja noch mal ändern.
Bzgl. der Farbe: der Satz bezieht sich auf die Balken, nicht auf die Linie.
Ah, die hellblauen Balken sind gemeint, da sie steiler abfallen als die roten, verstanden! Danke!
Wenn ich mir manche Anfang 20-jährigen Blogger anschaue, halte ich deren Rechnereien basierend auf dem aktuellen Audgabenniveau auch für deutlich zu optimistisch. Aber solange man noch Einkommen generiert (arbeitet), solange kann man seinen Plan ja auch noch anpassen – das ergibt sich dann hoffentlich automatisch im Zeitverlauf.
Für mich persönlich habe ich ja auch noch mehr als ein Jahrzehnt Zeit, mein angenommenes Ausgabenniveau zu verifizieren.
Es wäre interessant zu erfahren was beim Privatiersdasein von Boris Becker über die Jahre schief gelaufen ist obwohl dieser als Person der Zeitgeschichte sowie prominente Person im Tennissport durchwegs und weiterhin recht einkommensstark ist:
https://www.vermoegenmagazin.de/boris-becker-vermoegen/
https://www.tennisnet.com/news/boris-becker-insolvenzverwalter-erkennt-weitere-37-millionen-euro-an-schulden-an
Interessanter Bericht, danke dafür. Mir ist allerdings ein Fehler aufgefallen. Du schreibst „….Pleitewahrscheinlichkeit von 2,5% berechnet. Das bedeutet, bei der
historischen Analyse würde man in 97,5% der Fälle das Vermögen bereits
vor Erreichen des geplanten Laufzeitendes vollständig entsparen.“
Das ist logisch falsch. Das was du beschreibst, ist eine Pleitewahrscheinlichkeit von 97,5%. Eigentlich wolltest du schreiben „Das bedeutet, dass das angesparte Vermögen in 97,5% aller Fälle länger reichen wird als bis du 100 Jahre alt bist“. Oder anders herum: von 100 Leuten, die im selben Alter mit demselben Vermögen aussteigen (aber z.B. eine unterschiedliche Asset Allocation haben) werden 97 bis 98 ihr Vermögen nicht mit 100 Jahren aufgebraucht haben, aber 2 bis 3 sind vorher pleite.
Liebe Grüsse
Danke für den Hinweis, ich habe den Tippfehler korrigiert!
Interessanter Artikel, danke.
Man könnte auch noch die Steigerung des allgemeinen Labensstandards berücksichtigen.
In den 1970er Jahren sind in Deutschland zum Beispiel die Reallöhne um durchschnittlich 4% p.a. gestiegen. Die Kaufkraft eines Arbeitnehmers war also 1980 ungefähr 50% höher als 1970.
Mit einer inflationsbereinigten Entnahmerate hätten sich sicherlich viele Privaties 1980 arm gefühlt obwohl ihre Kaufkraft gleich blieb.
Eventuell wäre es besser statt der Inflation die Reallohnentwicklung zu berücksichtigen.
Denke doch einmal an Länder wie zum Beispiel Polen mit 5% Reallohnsteigerung. Wieviel kann ein Pole entnehmen wenn er seinen Lebensstandard mit der polnischen Bevölkerung anpassen möchte?
Hi Marius, eine wirklich spannende Fragestellung, schaue ich mir bei Gelegenheit und Datenverfügbarkeit gerne mal an. In einer wertschöpfenden Welt sollte es natürlich langfristig auch eine realen Wohlstandshinzugewinn geben. An diesem will man natürlich partizipieren, sonst fühlt man sich irgendwann relativ arm. Die Entnahmerate sollte durch diese Vorgehensweise weiter belastet werden.
Ich denke wir (DM und Euro) sind auch verwöhnt was den Dollarkurs in der Krise angeht. Der wirkt ja fast wie ein Put.
In Polen oder der Schweiz sah es 2009 ganz anders aus. Der Zloty hatte extrem aufgewertet.
Vielleicht steigt auch einmal der Euro in der Krise. Das sollte man nicht ausschließen. Dann sind die Verluste deutlich größer.
Die Kosten für die Krankenversicherung steigen auch mindestens so stark wie die Bruttolöhne und sind m.E. nicht im Warenkorb für die Inflationsberechnung berücksichtigt.
Ich habe gerade mal geguckt wie sich die KV verteuerte. Siehe hier:
https://www.pkv-vorteile.de/entwicklung-der-hoechstbeitraege-gesetzlichen-krankenversicherung/
Von 2000 bis 2021 knapp 3% p.a., die Summe aus KV+PV.
Von 1970 bis 2021 um 5,9% p.a., wobei es 1970 noch keine PV gab.
Mir kommt das etwas pessimistisch vor. Gehe ich denn davon aus das ich aus meinem Vermögen weder Wertsteigerung noch Dividenden bekomme?
Bei einer Entnahmerate von 4% über 25 Jahr wäre ich bei 100% (25×4). Also wäre mein gesamtes Vermögen aufberaucht ohne das es einen Cent in 25 Jahren erwirtschaftet hätte. Bei langfristiger (etf) Anlage gehe ich ja davon aus das die Wertsteigerung pro Jahr im Schnitt 5% betragen sollte und damit die 4% Entnahme gedeckt sind. Es legt ja nicht jeder an wie Olaf Scholz. 😀
Oder habe ich einen Rechenfehler / bin einfach zu optimistisch? 😀
Lieben Gruß
Arne
Hi Arne, Danke für Deinen Kommentar und willkommen auf meinem Blog! Die 4%-Regel unterstellt eine regelmäßige Anpassung an die Inflation. Wenn Du dies berücksichtigst, dann reicht ein Cash-Bestand (ohne Rendite) keine 25 Jahre: https://www.finanzen-erklaert.de/cash-entnahme-inflation-gefahr/
Um die sichere Entnahmerate zu bestimmen führe ich eine historische Simulation auf Basis des S&P 500 TR Index seit 1900 durch. In dieser Zeitreihe sind auch einige extrem adverse Pfade enthalten, mit negativen realen Rendite für Zeiträume länger als 10 Jahre (zB die große Depression ab 1930). Es sind diese Pfade die die sichere Entnahmerate prägen. Es gab auch Zeiten in denen wären mehr als 10% möglich gewesen, aber das weiss man leider erst im Nachhinein. Dieser Artikel enthält eine diesbezüglich interessante Grafik: https://www.finanzen-erklaert.de/schickt-herr-loomann-seine-leser-in-die-pleite/
Weitere Fragen immer gerne. Das erinnert mich daran, dass ich auch mal einen Basis-Artikel verfassen möchte, der alle relevanten Basics zum Thema Entnahmestrategien auch für Beginner gut verständlich zusammenfasst. In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch noch dieser Artikel interessant: https://www.finanzen-erklaert.de/sequence-of-return-risk/
Viel Spaß beim Lesen und schönen Sonntag noch!
Wie siehst Du die Meinung von Gerd Kommer in „Die Buy-and-Hold–Bibel: Was Anleger für langfristigen Erfolg wissen müssen“ daß die Buchverluste der Baisse infolge der Weltwirtschaftskrise bzw. der Großen Depression von 1929 bis 1932 bereits 7 Jahre später ab dem Jahr 1936 wieder aufgeholt waren infolge der Kursgewinne ab 1932 sowie ca. 5% Dividendenrendite nebst Deflation damals? Siehe dazu die Grafik auf Seite 94? Ist diese Sichtweise Deiner Meinung nach zutreffend? Berücksichtigst Du die zeitgenössisch hohen Dividenden von 5% p.a. (nach Steuern ?) in Deinen Berechnungen?
https://www.spiegel.de/geschichte/grosse-depression-a-948424.html
Interessant ist auch die Darstellung des Anleihencrashs von langfristigen US Treasuries infolge der künstlich gesenkten Leitzinsen zur Finanzierung der Staatsverschuldung des 2. Weltkriegs ab den 40er Jahren sowie späteren Zinserhöhungen („Volcker Schock“) zur Bekämpfung der hohen Teuerung am Anfang der 80er Jahre in einer Bandbreite von 2% auf 22%?
https://www.ceicdata.com/de/indicator/united-states/policy-rate
@Hans
Nicht vergessen, dass am 1. Mai 1933 der Dollar stark abgewertet wurde. Von 20,67 Dollar auf 35 Dollar pro Unze Gold.
Guten Morgen Hans,
in diesem Artikel habe ich die 30er Jahre Depression mit täglichen Marktdaten detailliert dargestellt. Grundlage für den Chart ist der S&P 500 Total Return Index, es wird also fiktiv angenommen, dass Dividenden reinvestiert werden. https://www.finanzen-erklaert.de/das-groesste-risiko-sind-schwache-nerven-nicht-die-boerse/
Bzgl. der von Dir erwähnten „Buy-and-Hold Bibel“ wirst Du vielleicht überrascht sein, aber ich kannte dieses Buch bis jetzt gar nicht. Die Aussage, dass die Buchverluste nach nur 7 Jahren wieder ausgeglichen waren höre ich auch zum ersten Mal und halte diese gemäß Faktenlage für falsch. Oder wir haben irgendwie aneinander vorbeigeredet?
Durch die Deflation ist die Kaufkraft ab 1930 um gute 30% gestiegen: https://fred.stlouisfed.org/series/CUUR0000SA0R
Guten Morgen Georg,
nein, wir haben nicht aneinander vorbeigeredet.
Natürlich waren die Buchverluste eines marktbreiten Investors in den Vorläufer des S&P 500 – Index bzw. dem Dow Jones Index durch die jährlichen zeittypisch hohen Dividenden von ca. 5% p.a. vor Steuern bereits vor dem Wiedererreichen des nominellen Allzeithochs vom September 1929 ungefähr 25 Jahre später ausgeglichen jedoch meiner Meinung kaum nach 7 Jahren in dem Zwischenhoch von 1936 so wie Gerd Kommer schreibt.
Wann war Deiner Meinung nach der Verlustausgleich über die Dividenden erreicht? Ich schätze in den 40er Jahren in dem Zwischenhoch um 1946?
Vielen Dank für die Antwort.
Ich wünsche Dir eine gute Woche!
Freundliche Grüße,
Hans
P.S.: Das Buch ist auch deshalb sehr interessant weil der Redationsschluß im April 2009 um den Tiefpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise war. Gerd Kommer schreibt richtig daß die Bewertungsmaßstäbe KGV und KBV damals unterhalb dem langjährigem Durchschnitt liegen so daß die Ausgangslage für einen langfristigen Investor günstig erscheint. Nicht aber beispielsweise daß nun derjenige das Investment seines Lebens macht der auf Sicht von einer Dekade marktbreit beispielsweise in den MSCI World -, S&P 500 – oder Nasdaq 100 – Index investiert. Gerd Kommer hat damals noch angestellt als Direktor in der Deutschen Pfandbriefbank AG (heute pbb AG) in London gearbeitet und das Buch war so etwas wie ein privates Hobby.
Sorry, doch noch eine Frage:
Laut der Historie des Dow Jones Index aus boerse.de war das Allzeithoch vom September 1929 bei 300 Punkten beim Dow Jones Index im Jahr 1954 wieder erreicht – ohne Einbeziehung der Dividenden
https://www.boerse.de/historische-kurse-jahre/Dow-Jones/US2605661048
Das hatte ich bisher so auch immer im Hinterkopf.
Du schreibst Du verwendest in dem Schaubild des Beitrags den historischen S&P 500 Total Return Index also mit Dividenden. Dieser erreicht jedoch ebenfalls erst 1954 wieder den Stand vom September 1929 trotz 25 Jahre Dividendenzahlungen:
Was stimmt nun da die Dividenden damals mit 5% p.a. tatsächlich ziemlich hoch waren?
Danke für eine kurze Antwort!
hier gibt es Daten über den S&P Kursindex und die Dividenden seit 1860 in hoher Qualität: http://www.econ.yale.edu/~shiller/data.htm
Diesen Daten vertraue ich im Zweifelsfall mehr als boerse.de.
@Hans
Ich hatte das Buch damals und habe es inzwischen entsorgt. Das Buch hat ziemlich grobe Fehler.
Ziemlich am Anfang des Buches rechnet Herr Kommer vor wie sich die Kaufkraft bei 5% Inflation über 20 ( oder waren es 30) Jahren verringert. Das macht er schon einmal falsch. Er rechnet nicht 1,05 hoch 30 und nimmt dann den Kehrwert sondern rechnet 0,95 hoch 30.
Ich hatte ihm damals eine Email geschrieben und er war der Meinung, dass ich mich irre und er richtig rechnet. Alle Berechnungen im Buch, die inflationsbereinigt sind, sind also falsch. Bei 100% Inflation wäre die Kaufkraft bei Kommer nach einem Jahr bei null, obwohl sie sich nur halbiert.
Dann kann ich mich noch an den Krisentest beim Gold erinnern. Aus Sicht eines US-Anlegers hatte Gold im Zweiten Weltkrieg real nicht profitiert. Gold sei deshalb als Krisenwährung ungeeignet.
Gold hatte aber vom 1.Mai 1933 bis in die 1970er Jahre immer einen Wert von 35 US-Dollar pro Unze. Gold war Geld und damals kein Sachwert.
Wie hoch die Dividenden damals waren, hatte ich auch nicht beim Googlen gefunden. Das hatte mich auch interessiert. Aber aus Sicht eines Ausländers ist auch eine Betrachtung mit Dollarabwertung wichtig. Man kann ja nicht immer davon ausgehen, in der USA zu leben.
Das ganze sollte man mal für einen Engländer, Deutschen, Franzosen und Japaner ausrechnen.
Hier noch ein typischer prozyklischer Pressebeitrag einen Tag vor dem Tiefpunkt des Coronacrashs mit derselben Aussage zur Großen Depression 1929:
https://www.welt.de/finanzen/article206593747/Coronakrise-Bloss-kein-Crash-wie-1929.html
Vielen Dank Georg für diesen aufschlussreichen Artikel. Wichtiger als die Rechnerei erscheint mir die Erkenntnis, dass das Leben ab etwa Mitte 50 günstiger wird, (wie du statistisch auch belegt hast).
Dies gilt insbesondere wenn Kinder im Haushalt sind!
Ich z.B. bin jetzt mit 50 noch auf dem Zenit der Ausgaben. Wenn ich die nächsten Jahre mit dem Arbeiten aufhöre, werde ich als erstes den 2. PKW abschaffen, den ich mir derzeit zum Pendeln neben dem Camper halte. Dies und Mehraufwendungen wie Mittagessen außer Haus durch die Arbeit ergeben die ersten 5% Ausgabenminderung.
Der größte Posten -Aufwendungen für 2 Kinder- dürfte bis spätestens 60 wegfallen. Derzeit belaufen sich die Kosten durch Unterhalt, hälftiges Leben im Haushalt, gemeinsame Urlaube, Freizeitaktivitäten usw. auf 25% meiner Ausgaben.
Ebenfalls ab 60 ist der größte Teil der verbleibenden Immobilienkredite der Vermietungsobjekte getilgt, was die Ausgaben um weitere 14% senkt.
Mit Bezug der GRV ab 63 oder 65 dann eine weitere Entlastung durch Zuschüsse zur PKV, was weitere 5% Senkung darstellt. Die will ich aber gar nicht berücksichtigen, als Puffer falls Beiträge stärker als erwartet steigen.
Da ich heute schon gerne und viel reise und längere Urlaube spezifisch günstiger werden plane ich hier eine Ausgabensteigerung von etwa 10% meiner heutigen Gesamtausgaben für die mobilen und guten Jahre. Schaue ich mir meine Elterngeneration an, werden Kosten für Reisen etc. um die 80 wieder geringer.
Eventuelle Pflegekosten werden m.M.n. überschätzt. Der weitgehende Entfall von Reisekosten und sonstiger Konsum, die Aufgabe der Wohnung/Haus gleichen die Kosten meist aus, zudem dürfte bei den meisten Entnahmeplanungen ein finanzieller Puffer da sein. Eine Steigerung der letzen Jahre wir in deinem Diagramm ebenfalls nicht aufgezeigt.
Bleibt also an meinem Beispiel die Feststellung, dass ab 60 meine Ausgaben um gut 2/3 tel !!! sinken. Damit liege ich wohl deutlich über deiner Darstellung „Entwicklung künftiges Ausgabenniveau“.
Eine weitere große Einsparung durch Verkleinerung des Wohnraumes ist hier noch gar nicht berücksichtigt!
Was mache ich nun mit dem kurzen Fenster von 5-8 Jahre, indem meine Ausgaben noch um 2/3 höher sein werden als ab 60? Ich denke am einfachsten wäre hier, den kurzen Zeitraum einfach mit Cash aufzupolstern und den Rest mit free Cashflow und einer konstanten Entnahme laufen zu lassen?
Ich wünsche Dir und uns allen daß wir die letzten Jahre unseres Lebens weiterhin gesund und ohne körperliche Einschränkungen erleben können so daß wir diese Zeit nicht in einem Seniorenheim verbringen müssen. Betreutes Wohnen außen vor.
Dies und teure ärztliche Versorgung sind wohl die größten finanziellen Lebensrisiken im Alter.
Hi Niklas, ob Deine Kosten wirklich wie erwartet um 2/3 sinken bleibt abzuwarten. Ich würde jedenfalls noch einen Puffer für das wahrscheinlich eintretende, (für Dich) Unvorhersehbare einbauen. Bzgl der Zeit bis zur Rente (7 Jahre), hängst du im Tradeoff zwischen Kurs- und Inflationsrisiken fest. Ich würde sagen es ist fast egal wofür Du Dich entscheidest. Der Cash-Weg ist sicherlich mental einfacher zu gehen, der Investment-Weg bietet dafür mehr upside nach einigen Jahren der Entnahme.
…ups das war ein Bug.
Wie den einzelnen Positionen zu entnehmen ist, meinte ich natürlich eine Reduzierung der Kosten um 1/3 auf 2/3 der heutigen Ausgaben.
Einen Puffer ist natürlich immer ratsam in der Planung!
[…] Dieses Budget kann sich mit zunehmendem Alter oder sich ändernden Lebensumständen verändern. Manche gehen davon aus im hohen Alter geringere Ausgaben zu haben. Das kann so sein, muss aber nicht für jeden so sein. Siehe Finanzen? Erklärt! Finanzielle Unabhängigkeit – die Lifestyle-Inflation wird oft unterschätzt […]
Hallo Georg,
mal wieder ein toller Artikel, aus dem vermutlich jeder, der deinem Blog folgt etwas mitnehmen kann 🙂
Wie ist das mit der Inflationsanpassung für zukünftige Privatiers? Also wenn ich mir überlege, wie viel Kapital ich brauche um in 15 Jahren von meinem Kapital zu leben, muss ich ja nicht nur die Lifestyle Inflation sondern auch zusätzlich die sonstige Inflation beachten, oder?
Also neben den z.B. 20% Anstieg der Ausgaben gemäß deiner Abbildung 2 muss ich auch die 34% Inflation über die 15 Jahre berücksichtigen, oder?
Hi Timo, vielen Dank! Die Inflationsanpassung ist hier natürlich auch inkludiert, das ist quasi eine Standard-Einstellung bei mir. Ich habe es hier nicht noch einmal erwähnt weil ich befürchtet habe, dass diese Info in dem Kontext des Artikels vielleicht noch zusätzliche Verwirrung stiften könnte (noch eine weitere Anpassung?)
Das deine Entnahmeraten immer incl. Inflationsanpassung sind ist klar.
Wenn ich aber heute errechnen will, wie viel vermögen ich in 35 Jahren bei Renteneintritt benötige um die „normalo Rente“ ohne Lebensstilanpassung zu genießen (also kein FIRE sondern „nicht arm sterben“), dann kann ich doch dafür deine Abbildung zwei nehmen, die hellgrüne Linie für den 30 Jährigen und der Punkt bei 36 Jahren Zukunft ist dann bei ca. 115%. Also werde ich statistisch zum gesetzlichen Renteneintritt 115% der heutigen Ausgaben haben.
Da kann doch aber noch keine Inflationsanpassung drin sein, oder? Meine 2300€, die mir heute zum gut leben reichen x 1,15 Lifestyleinflation muss ich doch noch mit 1,02^36 multiplizieren um mein reales ausgabenniveau zu erhalten, oder nicht? Und den Betrag mit 25 multipliziert sollte mein „unteres Sparziel“ sein.
Also brauche ich nur 800k€ (2300x12x1,15×25) mit 66 oder ca. das doppelte, da ich die Inflation berücksichtigen muss?
Genau, die Inflationsanpassung kommt immer noch on top, je nach erlebter Inflation. Ist das Preisniveau nach 10 Jahren um 30% gestiegen, dann wird die hier abgebildete Entnahmerate um weitere 30% erhöht. So ist es auch bei den anderen Artikeln zum Thema Entnahmestrategien, die Inflationsanpassung ist quasi vor die Klammer gezogen und in den Ergebnissen nicht sichtbar.
Hey Georg,
Du hattest auf Twitter jüngst geschrieben:
Kurze Verständnisfrage dazu. Du kaufst den FTSE All World nun als Sparplan und möchtest ihn dann zum Start in deine Privatierphase mit bis dahin relativ gering angefallenen Renditen (im Vergleich zu älteren ETF Anteilen in deinem Depot) verkaufen? Durch die Freibeträge sind dann die Verkäufe quasi steuerfrei. Oder was meinst du mit „steuerschonend“ genau? Was machst du, wenn die ETF Anteile bis dahin im negativen notieren?
Hi Enrico,
ja genau. Die Idee ist eine Position aufzubauen, die im Vergleich zu anderen Depot-Positionen weniger unrealisierten Gewinn enthält. Seit Start des neuen ETFs hat sich bereits eine Rendite-Schutzschicht von 3% gebildet 🙂 Ich kaufe jeden Monat ganz normal weiter, egal wie der Markt bewertet wird, zuletzt in der vergangenen Woche. Sollte es zu einem Crash kommen dann verschiebe ich die Entnahmephase und bleibe in Deckung 🙂 Da ich kein fixes „Target-Date“ habe kann ich durchaus so vorgehen.
Hey Georg,
seit Juni 21 hat der ETF doch gut 10% zugelegt, wie kommst du auf eine Schutzschicht von 3% bzw. was meinst du damit genau?
Ich hab ja seit dem schon ein paar Mal nachgekauft. Im Schnitt 3% Plus.